Urteilsbesprechung: Schweizerisches Zivilprozessrecht

Im streitgegenständlichen Sachverhalt war die Rechtzeitigkeit einer erhobenen erbrechtlichen Herabsetzungsklage strittig, nachdem anlässlich der Schlichtungsverhandlung keine Einigung erzielt werden konnte und die Klagebewilligung ausgestellt wurde. Die Klagebewilligung berechtigt – vorbehältlich gewisser Streitigkeiten aus Miete und Pacht – während dreier Monate zur Einreichung einer Klage beim zuständigen Gericht (Art. 209 Abs. 3 ZPO). Bei der Frist der Klagebewilligung handelt es sich um eine prozessrechtliche Verwirkungsfrist (nicht zu verwechseln mit einer Verwirkungsfrist des materiellen Rechts).
Dem Kläger ging vorliegend die Klagebewilligung am 26. Januar 2022 zu. In der Lehre und Rechtsprechung war bis anhin umstritten, ob die (dreimonatige) Monatsfrist am Tag der Zustellung, d.h. am 26. Januar 2022 (Art. 142 Abs. 2 ZPO), oder aber erst am Folgetag, 27. Januar 2022 (Art. 142 Abs. 1 ZPO), zu laufen beginnt.
Fraglich war nun im streitgegenständlichen Fall, ob die Absätze 1 und 2 von Art. 142 ZPO so zu kombinieren sind, dass der «Tag, an dem die Frist zu laufen begann» gemäss Art. 142 Abs. 2 ZPO in Anwendung von Art. 142 Abs. 1 ZPO definiert wird als der Tag, der einer Mitteilung oder dem Eintritt eines Ereignisses folgt, oder ob die beiden Absätze isoliert bzw. so auszulegen sind, dass sich Abs. 1 von Art. 142 ZPO nur auf Tagesfristen bezieht, während für die Berechnung einer Frist nach Monaten der Ereignistag selbst relevanter Bezugspunkt darstellt.
Das Bundesgericht kam dabei zur Erkenntnis, dass Art. 142 Abs. 2 ZPO in dem Sinn auszulegen ist, als der «Tag, an dem die Frist zu laufen begann», sich bei Monatsfristen nicht nach Art. 142 Abs. 1 ZPO richtet, sondern auf den Tag des fristauslösenden Ereignisses Bezug nimmt. Die Monatsfrist beginnt daher nicht erst am Folgetag gemäss Art. 142 Abs. 1 ZPO zu laufen. Letztere Bestimmung findet auf Absatz 2 von Art. 142 ZPO keine Anwendung. Folglich endet eine Monatsfrist im letzten Monat an dem Tag, der dieselbe Zahl trägt wie der Tag des fristauslösenden Ereignisses.
Schliesslich hob das Bundesgericht hervor, dass die neue Rechtsprechung grundsätzlich sofort anzuwenden ist. Das Bundesgericht hat hingegen aufgrund der bisher uneinheitlichen Rechtsprechung die für Rechtsprechungsänderungen entwickelten Grundsätze analog angewandt. Aus einer ohne Vorwarnung geänderten «Praxis» dürfen jedenfalls grundsätzlich keine Rechtsnachteile erfolgen. Unseres Erachtens ist allerdings davon auszugehen, dass die neue Rechtsprechung auf sämtliche Fristen, welche noch nicht abgelaufen sind, zur Anwendung gelangt.
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